Jahreskreisfest Wintersonnenwende
In der tiefsten Dunkelheit wird das Licht neu geboren
Der kürzeste Tag im Jahr und somit der kalendarische Winteranfang hält die größte Überraschung für uns bereit. Denn – wie könnte es schöner ausgedrückt werden als in der Mythologie – in der tiefsten Dunkelheit wird jetzt das neue Licht geboren. Voller Sehnsucht haben wir diese Wende erwartet und müssen uns nun kaum mehr gedulden. Die Tage werden fast noch unmerklich und sehr langsam wieder etwas länger. Noch haben wir an den nasskalten, trüben Tagen den Eindruck, dass die Nacht nur eine kurze Pause macht. Der Winter im Dezember bringt zudem so manche Wetterkapriolen mit sich: Von klirrender Kälte über Schneeverwehungen bis hin zu Plusgraden auf dem Thermometer ist alles möglich. Grüne und weiße Weihnachten wechseln sich in schöner Regelmäßigkeit ab.
Die Natur wandelt sich - und wir?
Die Natur ist in einem Stand-by-Modus angekommen. Das Leben hat sich unter die Erdoberfläche zurückgezogen, dort findet die Wandlung und Erneuerung statt. Sobald die Temperaturen steigen, wird Mutter Erde den Schalter umlegen und der Kreislauf beginnt aufs Neue. Nachdem der November uns gelegentlich leicht melancholische Anwandlungen in die Stimmung bringen kann, die mit dem Dezember wie weggeblasen sind.
Denn zu groß sind die Außenablenkungen, die der Advent mit sich bringt. Vieles will fertig gestellt oder für Weihnachten vorbereitet werden. Es bedarf oft großer Abgrenzungsleistungen, der allgemeinen Hektik nicht zu verfallen und – wie man so schön sagt – ganz bei sich zu bleiben. Für die einen bedeutet diese Zeit Aussicht auf Ruhe und freie Tage, vielleicht ist sogar Urlaub geplant.
Bei anderen wiederum werden Familienzusammenkünfte arrangiert, die oft die gesamte Gefühlspalette von großer Wiedersehensfreude bis zur zwanghaften Teilnahme beinhalten. Vielen fällt es nämlich zunehmend schwerer, in den üblichen, eingefahrenen Weihnachtsze-remonien noch irgendeine Art von Sinnhaftigkeit zu entdecken.
Die Suche nach »authentisch« verbrachten Weihnachtstagen hat genauso Hochkonjunktur wie Verhaltensweisen im Sinne von »den anderen zuliebe« oder »weil man es eben schon immer so gemacht hat«. Zudem hat überbordende Weihnachtsdeko aus Billiglohnländern quer über den Erdball geschifft Auge und Seele schon lange ermüdet. Wie also können wir wieder anknüpfen an den Ursprung dieser besonderen Zeitqualität, wie sie unsere Ahnen zelebrierten und hoch Sinn machte?
Was uns ein Blick in die Natur offenbart!
Die Wintersonnenwende ist die Zeit des tiefsten Sonnenstandes im Jahr und wird auch Mittwinter genannt. Denn die Menschen fühlten sich bereits mitten im Winter und nicht am Winteranfang – wie es uns meteorologisch vorgegeben wird. Der 21. Dezember wird auch mit dem Julfest gleichgesetzt, ein nordeuropäisches Fest, das zwischen Wintersonnenwende und Anfang Februar gefeiert wurde. Ver-
schiedene Auslegungen deuten darauf hin, dass das Julfest identisch war mit den Festen im agrarischen Jahresverlauf, die das Ende von Tierschlachtungen und Drescharbeiten zwischen November und Dezember verkündeten. Damit war es jedoch kein Fest von einer Nacht, sondern ein Ineinandergreifen verschiedener Dankes-, Sonnen-, Toten- und Fruchtbarkeits-Zeremonien, deren Höhepunkt in der Zeit um die Wintersonnenwende lag.
Als Nacht der Mütter wurde dieser Zeitpunkt erstmals 725 n. Chr. von Beda, einem angelsächsischen Theologen und Geschichtsschreiber, erwähnt. Demnach war von zentraler Bedeutung die Geburt durch die Mutter: Das Weibliche wurde geehrt, nicht das Kind. Gerade bei der Wintersonnenwende wird oft nur die Geburt des Lichtes in den Vordergrund gestellt. Sein Ursprung ist jedoch die Dunkelheit, deswegen gehört sie ebenso gewürdigt und gefeiert. So wie mythologisch das Licht aus dem Schoß der Mutter Erde geboren wird, so wachsen die Pflanzen aus dem Dunkel der Erde und Mensch und Tier erblicken ebenfalls aus dem dunklen Schoß des Mutterleibes heraus das Licht der Welt.
Fernab von Astronomie und anderen wissenschaftlichen Erklärungen blieb den Menschen in dieser Zeit nichts anderes übrig, als ihr gesamtes Urvertrauen zu mobilisieren. Ein Blick ins Firmament offenbarte, wie der Sonnenbogen immer flacher wurde und irgendwann ganz zum Stillstand kam. Jedes Jahr aufs Neue war mit höchster Spannung verbunden, ob überhaupt und wann die Sonne wieder einen Umkehrschwung machen würde.
Zwischen dem 21. und dem 24. Dezember erreichte sie immer nur denselben Zenit. Erst dann, wenn auch unendlich langsam und minimal, konnte beobachtet werden, dass der Sonnenbogen tatsächlich wieder größer wurde. Anfang Februar, an Lichtmess beziehungsweise Imbolc, wurde es dann deutlich: Die Sonne gewann an Kraft, die Luft wurde wärmer, das Licht klarer und heller.
Die Botschaften aus der Mythologie
Die Wintersonnenwende war der Startschuss für Wotan, den mächtigsten Gott im Götterhimmel der Germanen, und seinem Heer. Jetzt zogen sie als wilde Jagd in den Rauhnächten durch die Lüfte. Mit gemischten Gefühlen beobachteten die Menschen das wilde Treiben: Zum einen sorgten Wotan und seine wilden Gesellen dafür, dass die Sonne aus der Unterwelt befreit wurde. In die Gehöfte sollte die wilde Jagd Glück, Gesundheit, Wohlstand und Fruchtbarkeit bringen, weswegen sie mit räuchernden Wohldüften und Speiseopfer für die Ahnen herbeigelockt wurden. Andererseits rankten sich auch furchterregende Legenden um das Treiben der nordischen Heerschar.
Das weibliche Pendant von Wotan ist Hel, die als einstige Vegetationsgöttin in die Unterwelt eingezogen ist und nun über die Toten wacht. In Märchen, Sagen und Brauchtum zeigt sie sich als Frau Holle und ist bis heute im alpenländischen Brauchtum auch als Percht, die wilde Percht oder Berta lebendig. Ihr Zuständigkeitsbereich umfasst das gesamte Spektrum menschlichen Daseins: Sie bringt Fruchtbarkeit und neues Leben genauso wie den Tod. Sie beherrscht die vier Elemente, die Jahreszeiten und das Wetter. Sie sorgt für Ruhe unter dem Schnee und nimmt Menschen, Tiere und Pflanzen mit sich unter die Erde, um dort Kräfte zusammelnundsich zu erneuern. In der Zeit um die Wintersonnenwende sahen die Menschen in ihr die Göttin, die die Natur schützt und die Erde erneut fruchtbar macht, um neues Leben zu bringen.
Unser heutiges Weihnachtsfest ist eine Verschmelzung vieler im Volk existierender Kulte. So zogen Tannenbaum, Strohsterne und Glaskugeln als eigentlich heidnisch-schamanische Symbole in unser christliches Weihnachtsfest. Diese Verschmelzung zeigt auch, dass die im Naturgeschehen verwurzelten Bräuche aus vorchristlicher Zeit sich nicht so einfach ausmerzen ließen. So war es Brauch, in der Mittwinterzeit den sogenannten Wintermaien ins Haus zu holen, einen immergrünen Zweig, der den ewigen Kreislauf des Lebens symbolisierte, oder einen Obstzweig, der bei Zimmertemperatur zu blühen begann und damit die wiederkehrende Fruchtbarkeit verdeutlichte.
Der Wintermaien ist also der direkte Vorfahre unseres Weihnachtsbaumes. Sogar im Begriff Weihnachten zeigt sich der Zusammenhang mit der Wintersonnenwende. Etymologisch geht Weihnachten auf »zu wihen nahten« zurück, was »in den heiligen Nächten« bedeutet und auf die Mittwinternächte schließen lässt.
Rauhnächte — Zeit für Rückzug und Besinnung
Sorgen wir also dafür, dass diese Zeit zu unserer ganz persönlichen heiligen Zeit wird. Es ist eine Art kalendarisch verordnete Auszeit, um unsere Seele mit dem zu nähren, was sie am dringendsten benötigt:
Vertrauen in uns selbst und die Verbindung zur Natur. Gerade in Zeiten, die für alle überaus ungewöhnlich und für viele auch sehr belastend sind, birgt die ursprüngliche Bestimmung von Weihnachten wahre Schätze. Während ausgedehnter Spaziergänge können wir die tranceartige Stimmung der Natur in uns aufnehmen. Räucherungen führen uns auf eine andere Ebene unseres Bewusstseins, wo wir erkennen dürfen, was uns denn wirklich wichtig ist und wo wir dringend Korrekturen in unserem Leben vornehmen sollten.
So schaffen wir Raum für das, was den eigentlichen Sinn und Ursprung dieser Zeit ausmacht. Die Rauhnächte stehen für Rückzug, Stille, Besinnung, Reflexion und Innenschau. In dieser mit Vorbereitungen überfrachteten Zeit mag das für manchen eine Herausforderung darstellen. Vielleicht liegt hierin bereits die Erkenntnis der Wintersonnen- wende für den Alltag: In Zeiten von Stress und Hektik, die durchaus als dunkle Stunden erlebt werden können, sich Licht zu schaffen im Sinne von Auszeit zu nehmen und sich Fragen zu widmen wie:
- Was habe ich vollendet in diesem Jahr?
- Was ist überholt und passt nicht mehr in mein Leben, was möchte ich verabschieden, wovon möchte ich mich befreien? Welches Thema möchte ich sterben lassen? Was möchte ich nicht mit in das neue Jahr nehmen (störende Gedanken, blockierende Verhaltensweisen, lähmende Freundschaften und Beziehungen usw.)
- Was hindert mich noch daran, starre und alte Muster, Werte und Glaubenssätze loszulassen?
- Wo ahne ich, dass ich eine Erneuerung, eine Neuorientierung brauche?
- Welche Samen trage ich in mir? Welche Keime beginnen sich in mir zu regen? Welches Licht zeigt sich in mir?
- In welche Bereiche möchte ich meine Potentiale, Talente und Fähigkeiten im neuen Jahr verströmen
Noch ein Räucher-Tipp:
Du kannst diese Fragestellungen mit folgenden Räucherstoffen begleiten: Alantwurzel, Myrrhe, Zimtblüte oder -rinde, Mistelkraut, Wacholder, Beifuß.
Ein wunderschönes Kalenderjournal, das dich mit den Jahreskreisfesten und dem Pulsschlag der Natur verbindet?
Das Walk in Beauty Kalenderjournal nimmt dich mit auf eine Reise zur Schönheit, die dich bereits umgibt:
- Rituale, Übungen & Coachingtipps
- Jahreskreisfeste
- Mondphasen
- magische Naturaufnahmen
- inspirierende Zitate
Die Jahreskreisfeste für dich im Überblick
Dieser Artikel und viele weitere zu diese Thema ist Teil des Magazins No. 23 VERTRAUEN.
Christine Fuchs. schreibt Bücher über das
Räuchern, bietet (online) Räucherkurse an
und das rituelle Zelebrieren der Jahreskreisfeste. In der Räuchermanufaktur LABDANUM
bietet sie hochwertiges Räucherwerk und
Zubehör an.
Foto: Andrea Maucher